3D Modell des Basars von Aleppo | Interview mit Dr. Anne Mollenhauer und Dr. Mayssoun Issa

3D Modell des Basars von Aleppo | Interview mit Dr. Anne Mollenhauer und Dr. Mayssoun Issa

3D Modell des Basars von Aleppo | Interview mit Dr. Anne Mollenhauer und Dr. Mayssoun Issa

01/10/2019

Im Interview sprechen Dr. Anne Mollenhauer (DAI/MIK) und Dr. Mayssoun Issa (DAI) über die Entwicklung des 3D Modells des Basars von Aleppo. Das Kooperationsprojekt zwischen der OTH Regensburg (Prof. Kurapkat) und dem Architekturreferat des Deutschen Archäologischen Institut (DAI) wird umgesetzt auf Grundlage von einer durch die BTU Cottbus erstellten Karte der Altstadt von Aleppo und von Materialien des SHAP. Die Förderung des Projektes erfolgt durch die Gerda Henkel-Stiftung. Das Auswärtige Amt unterstützt die Vermittlung des Modells im Rahmen des ArcHerNet Verbundprojekts „Stunde Null – Eine Zunft für die Zeit nach der Krise“.

Frau Dr. Mollenhauer, worum geht es in Ihrem Projekt?

Wir sind dabei ein 3D-Model des Basars von Aleppo zu entwickeln. Ziel war es den Basar in seiner Gestalt vor 2012 digital nachzubauen. Unsere Idee war dabei nicht eine Vorlage zur Rekonstruktion zu erstellen, sondern ein Diskussionstool. Wir wollen Anregung zur Diskussion geben, wie zerstörte Umgebungen und historische Bausubstanz rekonstruiert werden könnten.  Entscheidungsprozesse unterstützen und im Sinne der historische Bausubstanz eine Planungshilfe erstellen –  das ist die Idee, die hinter dem Modell steht.

Warum haben Sie sich gerade für diesen Teil der Stadt entschieden?

Issa: Der Basar zählt zu den wichtigsten des Orients und war vor dem Krieg außergewöhnlich gut erhalten. Er ist zusammen mit der Altstadt seit 1986 eingetragene UNESCO-Weltkulturerbestätte. Ab 2012 wurde dieses wichtige Kulturerbe teilweise zerstört.

Mollenhauer: Im Basar gibt es außerdem eine Vielzahl von verschieden Gebäuden mit unterschiedlichen Funktionen, Nutzungen und Zerstörungsgraden. Im Basar finden wir eine hohe Varietät an verschiedenen Aspekten, die exemplarisch sind für den Wiederaufbau in Altstädten. Es ist gewissermaßen ein Mikrokosmos, in dem man durchspielen kann, was es zu bedenken gibt, wenn man ein zerstörtes Ensemble wieder rekonstruieren und rehabilitieren möchte. Außerdem ist die Funktion des Basars natürlich in Altstädten im Mittleren und Nahen Osten ganz wichtig. Er ist das wirtschaftliche Zentrum, wo sich das aktive öffentliche Leben abspielt. Dort finden wir gebündelt alle Fragen, die wichtig sind, wenn man einen möglichen Wiederaufbau und die Rekonstruktion historischer Bausubstanz diskutiert.

Blick in das Innere eines Hammams der 3D Realisierung des Bazars von Aleppo |© DAI/OTH.

Issa: Viele denken, wenn wir vom Basar sprechen, an den Markt, an die Gassen und Läden und die Handelsfunktion. Im Basar gibt es aber zudem Moscheen, Kirchen, Karawansereien, Schulen und Hamams. Es werden also nicht nur die Handelsbauten untersucht, sondern wir befassen uns mit dem Basar im weitesten Sinne.

Wie kann ich mir die Nutzung des Modells vorstellen?

Mollenhauer: Wir stellen nicht nur Gebäude 3D dar, sondern versehen sie mit Info-Fenstern, die Widersprüche aufzeigen. Diese Info-Fenster können dann zum Beispiel Grundrissen, Schnitte, Fotos oder Textverweise enthalten. All diese Elemente sollen zeigen, dass eine Rekonstruktionsentscheidung nicht immer eindeutig und klar ist, sondern immer auch ein Abwägungsprozess. Es gibt eine Ebene, die nennen wir ‚Level of Details‘.

Die Anwendung ermöglicht es gesicherte, widersprüchliche und gesicherte Daten kenntlich zu machen sowie den Zerstörungsgrad anzuzugegen|© DAI/OTH.

In der Art wie ein Gebäude umgesetzt ist, zeigen wir wie viele Informationen wir haben. Je mehr Informationen wir haben, desto genauer wird der ‚Level of Detail‘. Beispielsweise kann man ein Gebäude nicht virtuell betreten, wenn wir nicht genau wissen, wie die Innenraumaufteilung war oder es gibt keine Fenstergitter, wenn wir nicht wissen, wie sie genau aussahen. Das Modell soll nicht nur schön sein, sondern im Gegenteil: man soll stolpern und sich Fragen stellen.

Woher kommt die Datengrundlage für diese vielen Details?

Issa: Grundlage der Arbeit ist ein durch die BTU Cottbus erstellter Plan der Altstadt von Aleppo. Für weitere Informationen über die einzelnen Bauten wurden verschiedene Quellen herangezogen. Es gibt viele historische Grundlagen, die im Rahmen von Forschungen zur Altstadt von Aleppo seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Diese wurden am Anfang ausgewertet. Eine weitere Quelle sind die Daten des Syrian Heritage Archive Projects, das uns eine große Bandbreite an Fotos, Plänen und anderen Daten zur Verfügung stellt. Außerdem kamen Forschungen unterschiedlicher Universitäten und Qualifikationsarbeiten hinzu. Wir haben versucht, alle verfügbaren Informationen zu sammeln, auszuwerten und zu sortieren, um das Modell bauen zu können. Das Modell ist nicht das einzige Ziel, auch der Erkenntnisgewinn während seiner Erstellung ist wertvoll. Durch den Prozess, also unsere Recherche und den Bau des Modells, stellen wir fest, was noch fehlt und wie zuverlässig welche Teile des Basars sich digital rekonstruieren lassen.

Was waren dabei die größten Herausforderungen?

Mollenhauer: Wir sind zwei Arbeitsgruppen:  eine hier in Berlin, die Recherchen für die Datengrundlage durchführt und eine zweite Regensburg, die den Bau des Modells tatsächlich betreibt. Daher mussten wir uns früh entscheiden, wie wir unsere Daten austauschen. Wir sind auf einer simplen Ebene geblieben mit einer Ordnerstruktur und einem Order zu jedem Gebäude. Dazu diente uns als Grundlage die Arbeit von Heinz Gaube und Eugen Wirth, die jedem Gebäude im Basar und jeder Basargasse eine Nummer gegeben haben. So konnten wir sicher sein, dass wir von dem gleichen Ort sprechen. Der Bau und die technische Umsetzung ist natürlich die zweite Herausforderung. Bauen alle am gleichen Modell in AutoCAD oder kann jeder individuell ein Programm auswählen? Wer fügt die Einzelbausteine zusammen? Wie bringt man das in ein Programm, das vom Tablet oder Handy nutzbar ist?

Und welche Programme haben Sie dann letztlich benutzt?

Mollenhauer: In Regensburg haben die Studierenden zunächst in allen gängigen Zeichenprogrammen gearbeitet. Die Studierenden konnten sich selbst aussuchen, ob sie in AutoCad3D, ArchiCAD, 3DMax oder etwas anderem arbeiten.

Dr. Anne Mollenauer (hinten rechts) und Dr. Mayssoun Issa (mitte rechts) und das Team bei einem Workshop in Regensburg|© DAI/OTH.

Dann haben wir die Einzeldateien in ein anderes Programm importiert. Das hat ein Gamedesigner gemacht, der in das Projekt involviert ist. Er hat das Ganze in die Freeware ‚Unreal Engine‘ importiert und zusammengefügt. In der Umgebung, die er kreiert hat, kann man virtuell durch die Gebäude laufen, die Position ändern und sich verschiedene Informationen anzeigen lassen.

Frau Dr. Issa, was ist für Sie das Besondere an dem Projekt?

Issa: Was ich besonders interessant finde, sind zwei Aspekte. Erstens: Das Projekt möchte nicht fertige Lösungen zeigen. Es soll den Syrern später einmal auf dem schwierigen Weg helfen, die ‚richtige Lösung‘ zu finden – für die Stadt und den Basar aber auch in anderen zerstörten Altstädten. Zweitens: Nachhaltigkeit und Capacity Building. Für das Projekt wurden Arbeitsgruppen aus in Deutschland lebenden Syrern und Deutschen gebildet, um durch diesen Prozess Syrerinnen und Syrer auszubilden, die ihr Wissen später für den Basar oder andere historische Bauten und Orte anwenden können.

Wer wird es in Zukunft nutzen können?

Issa: Die Art des Modells mit der Verwendbarkeit auf Tablet und Handy soll jedem die Nutzung ermöglichen. Das ist das Spannende finde ich, dass man dafür kein besonderes Programm braucht. Unser Ziel ist es, dass möglichst viele Menschen, die nach Unterstützung suchen, das Modell verwenden können.

Mollenhauer: Was ich auch spannend finde ist, dass die App nicht nur uns und unseren Kooperationspartnern zur Verfügung steht oder irgendwann, nach einer politische Lösung des Konflikts auch in Aleppo, sondern dass es weltweit nutzbar ist. Meine Hoffnung ist, dass das Tool auch an anderen kriegszerstörten Orten als hilfreich erkannt wird und ähnlich umgesetzt wird. Zum Beispiel ist eine Funktion geplant, mit der Nutzer eigene Kommentare im Modell verorten können.

Die Anwendung „3D Basar Projekt“ mit Kommentarmöglichkeit zu einzelnen Details und Info-Fenstern mit Zusatzinformationen|DAI/OTH.

Wenn man also eine Stelle sieht, die man für wichtig hält oder Informationen dazu hat, kann man diese kommentieren. Auf diese Weise können Nutzerinnen und Nutzer ein persönliches Modell daraus kreieren. Das geht nicht online, sondern bleibt individuell auf dem eigenen Gerät. So kann das Modell auf die eigenen Bedürfnisse angepasst werden.

Wird es eine Testphase für das Modell geben?

Mollenhauer: Ja, wir führen in Beirut eine Summerschool durch. Dort stellen wir das Modell, seine Möglichkeiten und die Informationen vor, die man auf den ersten Blick nicht findet. In nachgestellten Szenarien oder in Diskussionsgruppen, in denen die Studierenden verschiedene Rollen übernehmen, wollen wir durchspielen, wie es wäre, unterschiedliche Parteien an einen Tisch zu bringen und wie das Modell dabei als Argumentationshilfe für die verschiedenen Standpunkte dienen kann. Außerdem ist es wichtig die Anwendung zu testen, bevor sie online gestellt wird. So können wir eventuell noch Erklärungen oder Videos erstellen, um die Verständlichkeit und Nutzbarkeit zu verbessern.

Frau Issa, was sind für Sie als Syrerin ihre Hoffnungen für das Projekt?

Issa: Meine Hoffnung ist, dass der Krieg bald zu Ende geht und Frieden einkehrt. Das ist das wichtigste und ich bin zuversichtlich, dass es dazu kommen wird und unser Modell bald Verwendung findet. Vor einigen Wochen traf ich zufällig eine Aleppinerin, die mir sagte, sie habe von einem 3D Modell ihrer Stadt gehört und sie sei sehr gespannt. Das war für mich schön. Ich habe das Gefühl, dass das gut aufgenommen wird und hoffe, dass es hilfreich sein wird.

Frau Dr. Mollenhauer, Frau Dr. Issa, vielen Dank!


Interview: Eva Götting

Titelbild: Übersicht der 3D Realisierung des Basar-Bezirks mit der Umayyaden Moschee im Vordergrund|© DAI/OTH.

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