AYDA – Ein Digitales Denkmalregister für den Jemen | Interview mit Dr. Iris Gerlach

AYDA – Ein Digitales Denkmalregister für den Jemen | Interview mit Dr. Iris Gerlach

AYDA – Ein Digitales Denkmalregister für den Jemen | Interview mit Dr. Iris Gerlach

04/04/2021

Weitestgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit gefährdet im Jemen ein Krieg das Leben der Menschen und ihr kulturelles Erbe. Die Archäologin Dr. Iris Gerlach erarbeitet mit ihrem Team ein digitales Denkmalinformationssystem für diese Krisenregion, den Ancient Yemen Digital Atlas (AYDA). Das Projekt wird mit Mitteln des Kulturerhalt-Programms des Auswärtigen Amtes finanziert. Dr. Iris Gerlach, die Leiterin der Außenstelle Sanaa des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI), hofft mit dem digitalen Projekt zum Schutz des jemenitischen Kulturerbes beizutragen. Im Interview erzählt sie, wie WissenschaftlerInnen das Projekt umsetzen.

Interview: E. Götting

Frau Dr. Gerlach, Sie arbeiten seit Jahren im Jemen. Wie ist es um das Kulturerbe des Landes derzeit bestellt?

Dr. Iris Gerlach, Leiterin der Außenstelle Sanaa des Deutschen Archäologischen Instituts | © DAI.

Seit Ende 2013 kann ich selbst nicht mehr vor Ort sein, aber wir betreuen unsere Projekte von Berlin aus. Wir sind im ständigen Austausch mit den Kollegen der jemenitischen Antikenbehörde, der General Organization of Antiquities and Museums. Durch diesen engen Kontakt haben wir einen ungefähren Überblick darüber, was mit dem Kulturerbe des Landes passiert. Selbst die jemenitischen Kollegen können aufgrund der Kriegssituation nicht in alle Gebiete reisen. Das heißt, wir bekommen aus den einzelnen Provinzen qualitativ unterschiedliche und meist nur gefilterte Informationen. Die Situation im Land ist aufgrund der Sicherheitslage sehr schwierig. Wir wissen allerdings, dass es zu umfangreichen Plünderungen und Raubgrabungen gekommen ist. Dies gilt besonders für den Norden des Landes und die Wüstenrandgebiete, wo die antiken südarabischen Reiche ihre Zentren besaßen. Außerdem werden unautorisierte Baumaßnahmen an antiken Fundstätten durchgeführt und Steinraub betrieben. Plünderungen von Museen gibt es vor allem im Süden des Landes. Außerdem sind massive Kriegsschäden zu beobachten. Es ist also ein ganzes Potpourri an verschiedenen Dingen, wobei allerdings die ersten Punkte bereits vor dem Krieg ein Problem darstellten.

Sie haben ein neues Projekt gestartet: AYDA. Worum geht es dabei?

Bei AYDA handelt es sich um den Ancient Yemen Digital Atlas. Hinter dem Projekt steht die Idee, den bekannten Denkmalbestand und dabei insbesondere die antiken Fundstellen des Landes digital in einem internetbasierten Denkmalinformationssystem zu erfassen. Dieses wird gemeinsam mit unseren jemenitischen Kollegen erstellt und gepflegt. Es steht auch für wissenschaftliche Fragestellungen zur Verfügung, dient aber in erster Linie der jemenitischen Antikenbehörde zur Verwaltung und zum Schutz des nationalen Kulturerbes. Die Idee für ein solches Projekt ist zwar nicht neu, doch wurde bisher keines erfolgreich umgesetzt. Der Jemen hat bisher noch keinen systematisch aufgenommenen Bestand seiner Fundplätze, nicht einmal in der einfachen Form eines Denkmalregisters. Daher soll der digitale Atlas auch diese Funktion übernehmen, grundsätzlich aber deutlich vielseitiger sein. Er ist einfach und verständlich aufgebaut und leicht zu bedienen. Zudem – und damit unterscheidet sich unsere Arbeit grundlegend von anderen Versuchen – handelt es sich nicht um eine reine Luft- bzw. Satellitenbildauswertung, sondern alle aufgenommenen Denkmäler sind in ihrer Position entweder über eine positive Verifizierung vor Ort oder über seriöse Fachpublikation überprüft worden.

Antike Kulturerbestätten im Jemen werden vom AYDA Projekt kartiert. Fotos, Zeichnungen und andere Daten können mit den Punkten verknüpft werden | © DAI.

 

Wie kann ich mir die Anwendung konkret vorstellen?

Die Idee war, alle Informationen über eine Karte, also über ein Geographisches Informationssystem, (GIS) zu erschließen. Deshalb bildete erst einmal eine bereits vorhandene archäologische Karte die Grundlage. Sie wurde digitalisiert, georeferenziert und die abgebildeten Fundplätze nach ihrer Überprüfung eingetragen. Danach nun folgt die eigentliche Arbeit. Ausgehend von den umfangreichen Datenbeständen der Außenstelle Sanaa werden alle weiteren verfügbaren Fundplätze hinzugefügt. Weiter wird es mit bereits publizierten Fundplätzen anderer Missionen gehen. Über einen riesigen Datenbestand verfügt zudem die jemenitische Antikenbehörde. Sie werden selbst verantwortlich für das Einpflegen dieser Informationen sein. Letztlich sollen über das GIS umfangreiche Daten zu jedem einzelnen Fundplatz vorliegen, was eine Vernetzung mit verschiedensten Datenbanken voraussetzt.

Können Sie mir ein Beispiel geben?

Der Fundort Marib beispielsweise ist einer  der Arbeitsschwerpunkte unserer Außenstelle. Zu ihm existieren riesige Datenmengen. Karten, Pläne, Zeichnungen, Grabungsberichte, Fotos etc. sollen am Ende über unser System zugänglich sein. Dabei beziehen wir aber auch fremde Datenbanken, wie etwa jene von DASI, ein Projekt unserer italienischen Kollegen aus Pisa, mit ein. Damit erhält AYDA erstens eine wissenschaftliche Komponente, denn man kann mit diesem Werkzeug wunderbar wissenschaftliche Fragestellungen im Bereich des GIS bearbeiten. Zum Beispiel: Zeige mir alle Wasserwirtschaftsbauten des 1. Jt. v. Chr. in ihrem geographischen und hydrologischen Kontext. Die Möglichkeiten sind ausgesprochen vielseitig und durch die Verknüpfung mit weiterführenden Daten wissenschaftlich relevant. Für die jemenitischen Kollegen bedeutet es aber außerdem, alle jemenitischen Fundplätze im Blick zu behalten. Drittens und wichtig zur Zeit des Krieges: Wir können ein sehr gutes Monitoring der Kulturerbestätten gewährleisten.

Marib, in der Antike die Hauptstadt von Saba ist derzeit durch unauthorisierte Baumaßnahmen gefährdet. |©Ibrahem Qasim (CC BY-SA 4.0)

 

Warum ist Monitoring so wichtig?

Wie gesagt, ist es zurzeit schwierig, ungefährdet im Land zu reisen und Daten zu sammeln. Deshalb ist eine Kombination von Luftbildauswertungen auch historischer Aufnahmen, von Satellitenbildern und den Vorort-Informationen, die wir von Kollegen aus dem Jemen bekommen, essenziell. Anders kommen wir an Hinweise über die Schäden gar nicht heran. Über den Vergleich zeitlich verschiedener Google Earth-Bilder können wir etwa nach Bombardements Schäden kartieren aber auch die Aufnahme von Raubgrabungen, Steinraub oder illegaler Bautätigkeiten nachweisen.

Was können Sie in einem solchen Fall tun?

Wenn wir entsprechendes bemerken und Maßnahmen zum Schutz eines Fundplatzes notwendig sind, benachrichtigen wir die jemenitischen Kollegen. Zusammen werten wir dann die Schäden aus. Falls die Antikenbehörde oder die zuständigen Behörden nicht umgehend eingreifen können, so erfolgt zumindest eine Dokumentation und ggf. die Information der Öffentlichkeit. Durch das Monitoring sehen wir grundsätzlich, wie ein Denkmal oder Fundplatz vor, während und nach dem Krieg ausgesehen hat. Anhand der wissenschaftlichen Recherche und dem Monitoring können wir dann schließlich gemeinsam Strategien entwickeln, wie man in Zukunft mit einem Ort umgeht. Ähnlich wie bei dem ArcHerNet-Projekt „Stunde Null – Einer Zukunft nach der Krise“ kann das Denkmalinformationssystem dem geplanten Wiederaufbau nach dem Krieg dienen.

 

Im Satellitenbild von Marib sind unautorisierte Baumaßnahmen erkennbar| © DAI.

 

Mit welchem Programm wird AYDA umgesetzt?

Wir arbeiten mit dem Open Source Programm QGIS. Wir haben es bewusst gewählt, damit auch die jemenitischen Kollegen frei darauf zugreifen können. Wir arbeiten in der Entwicklung eng mit dem IT-Referat des DAI zusammen und beschäftigen auch Programmierer.

Wer ist in das Projekt involviert?

Durch die jahrzehntelange Arbeit im Jemen können wir auf ein ganzes Netz von Kooperationen zurückgreifen. Neben unseren archäologischen Kooperationspartnern arbeiten wir z. B. im Bereich der Geologie und Restaurierung eng mit Christian Weiß von der Universität Nürnberg/Erlangen zusammen, für die Inschriften und die historische Bewertung mit Prof. Dr. Norbert Nebes von der Friedrich-Schiller-Universität Jena vom Lehrstuhl für Semitische Philologie und Islamwissenschaft. Im Bereich 3D Rekonstruktionen und Geodäsie sitzen unsere Ansprechpartner an der HCU Hamburg. Ebenfalls beteiligt sind Geographen der Universität Tübingen und Freien Universität Berlin. Hier am DAI in Berlin ist ein Team von der Außenstelle Sanaa involviert: Josephine Schoeneberg arbeitet zusammen mit Holger Hitgen freiberuflich an der GIS-Umsetzung; Sarah Japp und Mike Schnelle sind für das technischen Konzept für die Datenmigration und das Bildarchivierungsprogramm zuständig. Das Projekt ist in das Archaeological Heritage Network eingebunden. Wir sind damit auf vielfache Weise vernetzt.

Wer wird und kann AYDA in Zukunft nutzen?

AYDA soll ausgewählten Forschern und Kulturinstitutionen zugänglich gemacht werden. Mit den Geldern des Kulturerhalt-Programms des Auswärtigen Amtes wurde auch die Benutzeroberfläche ins Arabische übertragen. Das System wird so für die jemenitischen Kollegen der Antikenbehörde freigeschaltet, die das Programm durch Einpflegen neuer Daten und Fundplätze auf dem neuesten Stand hält. Letzteres ist dringend nötig, um ein exaktes Monitoring der Fundplätze zu ermöglichen, die Grundlage für den Erhalt sowie eine spätere mögliche Erschließung für die Öffentlichkeit zu gewährleisten. Eine vollständige Freigabe des Systems für die Öffentlichkeit kann dagegen nur in eingeschränkten Maße erfolgen, da durch die Verbreitung sensibler Daten, zu denen ggf. auch genaue Koordinaten gehören, Fundplätze in das Visier potentieller Raubgräber geraten können.

Satellitenbild von Shabwa, der Hauptstadt des altsüdarabischen Reiches Hadramaut |© DAI.

 

Die Anwendung ist also übertragbar?

Ja, das Projekt würde sich grundsätzlich auch auf andere Länder übertragen lassen. Länder wie Äthiopien, in dem die Außenstelle Sanaa ebenfalls tätig ist, würden sich zum Beispiel anbieten. Unabhängig davon, ob Krieg herrscht oder nicht, kann Kulturerbe durch viele Faktoren wie etwa Infrastrukturmaßnahmen oder Raubgrabungen bedroht sein. Einigen Ländern fehlen etwa die finanziellen Mittel, um eigenständig Systeme zur Erfassung und zur Verwaltung ihrer Fundplätze zu erstellen. Entsprechende Register sind aber heutzutage ein wichtiger Faktor beim Erhalt des nationalen Kulturerbes. Eine Modifikation des bereits bestehenden Systems für die Anforderungen eines anderen Landes wäre insoweit wesentlich weniger zeit- und kostenintensiv als eine völlige Neugestaltung. AYDA steht weiteren Interessenten offen.

Was erhoffen Sie sich insgesamt von dem Projekt?

Als erstes ist es mein Wunsch, dass mit Hilfe von AYDA Maßnahmen zum Schutz des Kulturerhalts durchgeführt werden und dass gleichzeitig der Archäologie dieser Region ein wissenschaftliches Werkzeug zur Hand gegeben wird, das nicht nur Informationen systematisch ordnet und zugänglich macht, sondern auch Fragen zur Kulturentwicklung des Landes beantwortet. Zweitens verspreche ich mir eine systematische Ordnung von Archiven, die über das System verwaltet werden können. Dabei ist eine nachhaltige Implementierung des Projektes zu wünschen, um die angestrebten Ziele sachgerecht umsetzen zu können. Auch bei letzterem Punkt bin ich vom Erfolg unseres Projektes überzeugt, da es weiterhin am Deutschen Archäologischen Institut angesiedelt sein wird, ein Institut, das allein durch seine fast 190 Jahre lange Geschichte belegt, dass es einen langen Atem besitzt und über das IT-Referat eine Langfristigkeit der Datenarchivierung und -pflege gewährleisten kann. Das ist es letztendlich, was uns von anderen Projekten unterscheidet.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Gerlach!

 

 

 

Weiterlesen:

Jemens einziger Schatz steht auf dem Spiel – Neue Züricher Zeitung

 

 

 

 

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